Kontinuitäten eines Stigmas? Auswirkungen der nationalsozialistischen Verfolgung auf die Handlungs- und Erinnerungsstrukturen der Nachkommen als "asozial" und "kriminell" verfolgter Frauen
Promotionsprojekt Sarah Könecke, M.A.
Sarah Könecke beschäftigt sich mit den Auswirkungen der nationalsozialistischen Verfolgung von Frauen unter dem Vorwurf der „Asozialität“ und „Kriminalität“ auf die Handlungs- und Erinnerungsstrukturen ihrer Familiennachkommen. Bis heute lässt sich feststellen, dass diese „marginalisierten Häftlingsgruppierungen“ weitreichender gesellschaftlicher Stigmatisierung sowie einer Marginalisierung bis hin zur Unsichtbarkeit im deutschen erinnerungskulturellen Feld ausgesetzt sind. Dies lässt sich zum Teil auf die Veränderung in der erinnerungspolitischen Debatte um die Anerkennung der als „Berufsverbrecher“ und als „Asoziale“ verfolgten Personen als Opfergruppe des Nationalsozialismus seit 2018 zurückführen. Durch das aufkommende Interesse an diesen Verfolgtengruppierungen wurde jedoch auch schnell deutlich, dass es bisweilen an einer soziologischen Aufarbeitung der Auswirkungen ihrer Verfolgungserfahrung auf die nachkommenden Generationen mangelt.
Diese Forschungslücke soll im Rahmen einer biographietheoretischen und diskursanalytischen Studie bearbeitet werden.
Im Vordergrund der Arbeit steht insbesondere die Frage, welchen Einfluss die Verfolgungsvergangenheit weiblicher Familienmitglieder auf die Biographien und Handlungs- und Erinnerungsstrukturen der Nachkommen ausübt. Mittels biographisch-narrativer Interviews und der Durchführung von Familienskulpturen werden die intergenerationalen Auswirkungen der Verfolgungsgeschichte im Rahmen von Fallrekonstruktionen analysiert. Weitere Fragen sind: Wie wirkt sich die Verfolgungsgeschichte, aber auch die fehlende gesellschaftliche Anerkennung auf das familiale Gedächtnis aus? Wie gehen die Biograph*innen mit der vermeintlichen „Asozialität“ oder „Kriminalität“ der verfolgten weiblichen Familienmitglieder um? Dabei soll im Rahmen ihres Projektes auch gezeigt werden, welche Diskurse über die Verfolgungsgeschichte und die Einbettung der eigenen Familiengeschichte in diesen Familien wirkmächtig werden und wie die Nachkommen diese in ihr eigenes biographisches Selbstverständnis einarbeiten: Sarah Könecke interessiert sich also für die Frage, welche Deutungsmuster sich über Weiblichkeit und Devianz oder Delinquenz bei den Familienmitgliedern auffinden lassen.
Neben der Beantwortung der genannten Fragestellungen soll diese Arbeit ebenso dazu beitragen, die bisher vor allem geschichtswissenschaftliche Forschung über die Verfolgung sozial-stigmatisierter Personen im Nationalsozialismus durch einen soziologischen Zugang zu erweitern.